Gedanken, Psyche

Keine Zeit, Baby

Tausende Dinge, die wir gerne tun würden, ein Grund, sie nicht zu tun: keine Zeit.

Keine Zeit, um sich neben 40+-Stunden-Woche ehrenamtlich zu engagieren, ein neues Hobby anzufangen, die Großeltern zu besuchen oder den Keller auszumisten.
Irgendwie kommen wir mit der Zeit, die wir haben, gerade so über die Runden, sind da ja auch noch die zeitraubenden alltäglichen Kleinigkeiten, die erledigt werden müssen; außerdem die Pausen, die wir uns nehmen und auch nehmen müssen, um nicht durchzudrehen: die seltenen Abende auf dem Sofa, Sonntagnachmittage im Café. Davon, dass diese Pausen wichtig sind, bin ich überzeugt. Am Ende der Rechnung steht fest: das knappe Zeitkontingent ist aufgebraucht, mehr geht nicht.

Ist das so?

Vor Kurzem erzählte ich einer Freundin voller Begeisterung, dass ich jetzt Spanisch lernen würde. „Dafür hast du Zeit?“ Ja, ich befinde mich in einer relativ stressigen Phase meines Studiums und vielleicht könnte ich meine Zeit objektiv betrachtet besser nutzen, indem ich mehr Studienbezogenes lerne. Aber wer beurteilt, wann meine aufgewendete Zeit verschwendete Zeit ist? Wer sagt mir, wieviel Zeit ich sinnvollerweise für was aufwende? Hätte ich die Zeit, in der ich einen Artikel schreibe, den mit Glück fünf Leute lesen, lieber anders nutzen sollen? Vielleicht. Dennoch ist es meine Entscheidung, wie ich mit der mir gegebenen Zeit umgehe; eine der persönlichsten Entscheidungen überhaupt.

Aus diesem Grund zählt für mich die Ausrede „ich habe keine Zeit dafür“ nicht viel. Ich weiß, dass ich dies von einem privilegierten Standpunkt aus schreibe. Wer 16 Stunden seines Tages dafür aufwenden muss, dass er genug zu essen und ein Dach über dem Kopf hat, wer eine Familie zu versorgen hat, der hat vielleicht einfach keine Zeit dafür, mit einer neuen Sportart anzufangen. In den allermeisten Fällen geht es aber schlicht um die Setzung von Prioritäten. Ist es mir wichtiger, täglich ins Fitnessstudio zu gehen oder bestmöglich auf die Prüfung vorbereitet zu sein? Eine Sprache zu erlernen oder täglich frisch zu kochen?
Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Leute, denen an einer Aktivität wirklich etwas liegt, Zeit dafür finden werden. Genauso ist es natürlich auch mit dem Kontakt zu Freunden, Familie und Bekannten: Wer einem wichtig ist, für den sollte man sich Zeit nehmen. Der Rest kann – leider – im Alltag schnell außer Sichtweite geraten. So wissen ich und die betreffenden Personen am Ende zumindest, wo die jeweiligen Prioritäten liegen.

Lässt das Arbeits- oder Studienleben wirklich kaum Zeit für andere Dinge, besteht aber die finanzielle Möglichkeit, etwas zu ändern, hängt auch eine solche Veränderung wieder von der Prioritätensetzung ab. Mehr Geld oder mehr Freizeit?
Ich habe das Gefühl, dass wir oft in eine trotzige „das geht aber nicht“-Haltung verfallen ohne uns klarzumachen, dass wir alleine Herr über unsere Zeit sind. Nie gab es mehr Möglichkeiten als heute, nie war es normaler, Job oder Studium zu wechseln, in Teilzeit zu arbeiten, mehrere Ziele zu verfolgen. Wenn wir zu diesen Privilegierten gehören, können wir uns unsere Zeit mehr oder weniger frei einteilen. Ich finde diese Möglichkeit sollte geschätzt und genutzt werden, auch, wenn irgendeine Aktivität dabei zwangsläufig zurückstecken muss. Diese ist uns dann wohl einfach nicht ganz so wichtig.

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