Gedanken, Psyche

etwas Sinnvolles tun.

Die letzten Wochen und Monate war ich sehr produktiv.

Auch, wenn dieser Blog das nicht vermuten lässt, habe ich viel „geschafft“: Ich habe mein erstes juristisches Staatsexamen mit Prädikat bestanden, drei weitere Klausuren geschrieben, ich war regelmäßig laufen, um für meinen ersten Marathon zu trainieren und habe nebenbei in einer Boulderhalle gearbeitet. Ich habe jeden Tag frisch gekocht, habe Wäsche gewaschen, gestaubsaugt, aufgeräumt, was im Haushalt eben so anfällt. Ich habe mir auch am Wochenende keinen Tag freigenommen. Klar habe ich auch mal prokrastiniert, aber wenn ich etwas tat, außer zu lernen, musste schon etwas Sinnvolles sein, etwas, was ich erledigte. Ein Punkt auf der to-do-Liste, der abgehakt werden konnte.
Wenn zwischendurch Zeit für Treffen mit Freunden oder Ähnliches war, dann immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass ich aber gleich weiterlernen müsse, dass meine Zeit begrenzt sei. So richtig frei fühlte ich mich nicht.

Auf dem Sofa liegen ohne schlechtes Gewissen war für mich undenkbar, in gewisser Weise ist es das auch jetzt noch. Für meinen ersten wirklich freien Tag habe ich mir eine Liste voller Dinge gemacht, die ich tun könnte. Ich wollte mich nämlich nicht zu etwas verpflichten. Wenn mein Freund am Wochenende frei hatte, macht mich das ein bisschen neidisch und aggressiv. Auch er sollte doch bitte etwas Sinnvolles mit seiner Zeit anfangen.

Jetzt bin ich seit ein paar Tagen krank. Lernen musste ich trotzdem, auch, wenn das nur eingeschränkt möglich war. Als ich mich für ein paar Stunden fitter fühlte, habe ich diese genutzt, um die Küchenschubladen zu putzen. Danach lag ich umso fertiger mit Fieber auf dem Sofa und wollte gar nicht mehr aufstehen.

Ich glaube dieser Drang zur „Produktivität“ ist zum einen ist Typsache: Ich war schon immer eher ehrgeizig, auch, wenn ich in der Pubertät durchaus richtig faule Zeiten hatte. Ich liebe es, Punkte auf Listen abhaken zu können. Ich will gerne stark sein und möglichst alles alleine und auf einmal machen. Ich habe ständig Angst, das Leben zu verpassen.

Neben dieser Veranlagung spielt aber auch der (soziale) Druck im Jurastudium meiner Meinung nach eine erhebliche Rolle: Von Professoren, Repetitoren und Kommilitonen wird einem eingetrichtert, dass ohne acht Stunden Lernzeit pro Tag ein Bestehen des Examens nicht drin ist. Ja, es gibt auch entspanntere Geister, aber wenn du beinahe täglich hörst, wie viel du leisten musst, um zu bestehen, dass alles von der Note abhängt, wenn Professoren in der Vorlesung erzählen, sie hätten täglich von 7 Uhr morgens bis 11 Uhr abends gelernt, dass du mit vier Punkten nur Taxifahrerin werden kannst, wenn du ein wenig unsicher und dazu ehrgeizig bist, dann triggert dich das. Du fängst an, dich mit anderen zu vergleichen, wer lernt wieviel, wer schreibt welche Note in der Probeklausur? Statt einer richtigen Pause machst du ein Nickerchen in der Bib, Kopf auf den Tisch, Augen zu, in 15 Minuten wird weitergelernt.
Abends weggehen ist nicht drin, die nächste Probeklausur beginnt Samstag früh.

Lange Rede, kurzer Sinn, ich bin in einer Produktivitätsfalle gelandet. Musik hat mich gestresst, ich konnte und wollte weder schreiben noch viel lesen noch basteln – meine Kreativität war weg. In meinem Kopf war nur „du musst lernen, lernen. Wenn nicht lernen, dann zumindest etwas Sinnvolles tun.“ Oh, wo ist denn nur der Sinn?

Die Realistin in mir sagt, ich habe mir vermutlich auf der Arbeit irgendeinen Virus eingefangen. Meine spirituell angehauchte Seite lässt mich glauben, dass das ein Zeichen meines Körpers ist, das mich auf den Boden der Tatsachen zurückbringen soll. Mehr ist nicht immer mehr. Mach mal langsam. Mach mal nichts!
Selbst nach einem halben Tag merke ich, wie das Nichtstun meine Batterien auffüllt. Siehe da, ich habe wieder Lust zu schreiben.

Ich werde versuchen, diese Programmierung auf Effektivität wieder ein wenig abzubauen. Nichtsdestotrotz haben mir die letzten zwei Jahre gezeigt, was ich zu leisten in der Lage bin und natürlich bin ich auch stolz auf meine Erfolge. Auf Dauer tut dieses ständige „unter Strom stehen“ aber überhaupt nicht gut, daher freue ich mich umso mehr auf (hoffentlich) entspanntere Zeiten und mehr Inspiration zu Kreativität.

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