Gedanken

Wir müssen über Privilegien sprechen

Privilegien sind tief in unserer Gesellschaft verankert. Diejenigen, die sie innehaben, sind sich dessen oftmals gar nicht bewusst; die, denen sie fehlen, fällt das herrschende Ungleichgewicht dafür umso mehr auf. Reaktionen auf die Konfrontation mit den eigenen Privilegien können vielfältig sein: sie reichen von Scham bis hin zu Trotz oder gar einem Gefühl der Überlegenheit. Häufig sehen wir unsere Privilegien, mit denen wir zum großen Teil geboren werden, als so selbstverständlich an, dass wir ihnen keine weitere Aufmerksamkeit schenken.

In einer Blase zu leben ist leicht. Tatsächlich finden wir uns meist so automatisch in einem unserer sozialen Ausgangssituation und unserem Lebensstandard angepassten Umfeld wieder, dass wir unsere Privilegien schnell mal vergessen. In der Reihenhaussiedlung im Vorort einer Großstadt fühlen wir uns nicht anders als unsere Nachbarn, die in den gleichen Läden einkaufen und deren Kinder auf die gleichen Schulen gehen wie unsere. Wie privilegiert wir sind, spüren wir erst, wenn unterschiedliche Realitäten aufeinanderprallen. Wenn wir merken, dass was wir haben vielleicht gar nicht so selbstverständlich ist.

Laut Birgit Rommelspacher, einer Psychologin und Pädagogin, die vor allem zu den Themen Interkulturalität, Rassismus und Geschlechterstudien forschte, sind Privilegien die Gegenspieler von Diskriminierung: Wo Menschen bevorzugt behandelt werden, entsteht auch immer die Benachteiligung anderer. Zudem gibt es natürlich nicht das eine Privileg oder das Privilegiertsein schlechthin. Privilegien können sich summieren. Sie können in der Hautfarbe, dem Geschlecht, dem finanziellen Status, der Herkunft, einem den Schönheitsstandards entsprechenden Aussehen und vielen anderen Merkmalen, Eigenschaften und Zugehörigkeiten begründet sein. Die Existenz dieser Privilegien stellen die jeweiligen Personen, mich eingeschlossen, normalerweise kaum in Frage.

Grundsätzlich weiß ich zwar, dass ich in vielerlei Hinsicht privilegiert bin. Jedoch hat selbst diese grundlegende Erkenntnis lange auf sich warten lassen. Neben (im Nachinein wirklich gruseligen und rassistischen), teilweise scherzhaft gemeinten Erwähnungen „der Kinder in Afrika“ kann ich mich kaum erinnern, in meiner Kindheit meine Privilegien deutlich vor Augen geführt bekommen zu haben. Es kann ja auch eine bittere Pille sein, zu erkennen, dass die persönlichen Erfolge nicht nur in der eigenen Intelligenz und dem Fleiß begründet liegen, sondern teilweise auch in gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten.

Meiner Meinung nach bringen Privilegien auch eine gewisse Verantwortung mit sich. Zumindest sollten wir unsere Privilegien nicht kleinreden oder komplett ignorieren, sondern lieber das Folgende tun:

1. Checke deine Privilegien
Ein erster wichtiger Schritt ist es, sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden. Wo genieße ich Vorteile bzw. andersherum, wo werden andere in einer Weise benachteiligt, die mich nicht betrifft? Welche positiven und negativen Erfahrungen, die sich auf bestimmte persönliche Merkmale zurückführen lassen, habe ich in meiner Kindheit gemacht?
Ein guter Startpunkt, um auf die eigenen Privilegien aufmerksam zu werden, ist der Privilegientest auf dem Portal Intersektionalität.

2. Lerne über deine Privilegien
Oder vielleicht noch wichtiger: lerne, was es bedeutet, dieses Privileg nicht zu haben. Brich ein bisschen aus deiner Blase aus und sprich mit Menschen in anderen Lebenssituationen, Menschen anderer Herkunft, Menschen, deren biologisches Geschlecht nicht ihrer Geschlechtsidentität entspricht. Das geht auch, vielleicht sogar besonders gut, in Corona-Zeiten über das Internet. Definitiv ein großes To Do für mich für die nächste Zeit.

3. Sprich über deine Privilegien
Meine Privilegien sind mir oft unangenehm. Das kann dazu führen, dass ich sie lieber unerwähnt lasse. Man will sich ja nicht über andere stellen, sich als besonders bevorteilt gerieren. Nachdem ich ein bisschen mehr über das Thema nachgedacht habe, finde ich jedoch: Privilegien gehören auf den Tisch. Sie unerwähnt zu lassen birgt das Risiko, auch die Benachteiligungen anderer unter den Tisch zu kehren. Das heißt nicht, dass du ab jetzt bei jedem Abendessen mit Freunden deine Privilegien erwähnen musst. Vielmehr ist es hilfreich, wenn Privilegierte ihre Privilegien generell mehr zum Gegenstand der öffentlichen Debatte machen und anmerken, wenn andere diese nicht genießen. Das kann zum Beispiel an der Uni oder im Beruf geschehen.

4. Nutze deine Privilegien
Wenn du, vielleicht in vielerlei Hinsicht, Privilegien genießt, befindest du dich in einer Machtposition. Anders als Menschen, denen diese Privilegien nicht zukommen, bist du in der Lage, Einfluss auszuüben; generell wird deine Meinung wahrscheinlich ernstgenommen. Das Nutzen der eigenen Privilegien geht mit dem Sprechen über diese Hand in Hand, kann aber auch noch weitergehen: Du kannst dich in den verschiedensten Situationen für mehr Gerechtigkeit stark machen. Vielleicht willst du Möglichkeiten brainstormen, soziale Ungleichheiten besser auszugleichen. Wenn du Arbeitgeber bist, kann das Bewusstsein über das Vorhandensein oder Fehlen von Privilegien dich in deiner Bewerberauswahl beeinflussen. Du kannst auf die Bedürfnisse anderer, die eher mal überhört werden, eingehen. Vielleicht möchtest du eine NGO gründen, vielleicht aber auch nur einen kleinen Betrag an ein unterstützenswertes Projekt deiner Wahl spenden. Was auch immer du tun möchtest, sei dir deiner Privilegien bewusst und nutze sie mit Bedacht.

 

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